Ein Selbacher Weg zum Frieden Anfang der 1960er Jahre: Fußballspielen und Feiern mit Franzosen
Alljährlich, und das seit fast hundert Jahren, begehen die Selbacher den Volkstrauertag mit einer Gedenkveranstaltung am Kriegerdenkmal in der Ortsmitte. Neben dem traditionellen Verlesen des Totengedenkens, der Kranzniederlegung für die Toten und Vermissten Selbacher der beiden Weltkriege und mehreren Musikstücken, intoniert von Blechbläsern des Musikvereins Brunken, verlasen Ortsbürgermeister Matthias Grohs und Beigeordnete Nina Hüsch eine Interpretation des Gemäldes „Das Gesicht des Friedens“ von Sieger Köder. Lesen Sie hier ihre Wortbeiträge, die wie jedes Jahr einen Bezug auf Selbach einschließen.
Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger,
Sie halten das „Gesicht des Friedens“ in Ihren Händen. Der katholische Priester und Künstler Sieger Köder hat dieses Bild geschaffen. Er lebte von 1925 bis 2015 und wirkte im Raum Hohenlohe und Schwaben. Köder zählt zu den bekanntesten deutschen Malern christlicher Kunst, Bildhauern und Krippenbauern des 20. Jahrhunderts, er galt als ein kraftvoller und farbgewaltiger „Prediger mit Bildern“. Selbstlos stiftete er zahlreiche Werke seinen Gemeinden, so zum Beispiel Kirchenfenster in der Jakobuskirche auf dem Hohenberg im Ellwanger Land. Diese konnte ich kürzlich bewundern.
Spricht es Sie an, das „Gesicht des Friedens“ in der Bildmitte? Was sagt es Ihnen?
Im Folgenden hören wir eine Interpretation von Jesuitenpater Theo Schmidkonz.
DAS GESICHT DES FRIEDENS
Zunächst drängen sich dem Betrachter
die Schreckenszeichen des Krieges auf.
Dort, wo der Krieg tobt und herrscht,
ist von der wunderbaren Welt Gottes
nichts mehr zu sehen, zu spüren.
Stacheldrähte versperren den Weg.
Panzer walzen den Widerstand nieder.
Kanonen schießen das Land in Brand.
Und Schwerter vernichten den Gegner.
Was bleibt, ist der Schmerz, die Angst,
und, am unteren Bildrand zu sehen,
der Tod, der sinnlose Tod des Krieges.
Über den Trümmern der Vernichtung
das Gesicht des Propheten Jesaja.
Er hat schreckliche Kriege erlebt.
Mit seiner Existenz als Mensch
geht er im Kriegsmüll fast unter.
Doch der Prophet hat ein Gesicht.
Gott schenkt ihm diese neue Sicht.
Er schaut über den Untergang hinaus
und sieht – das Gesicht des Friedens:
»Dann schmieden sie Schwerter um
in Pflugscharen. Und man lernt nicht mehr,
wie man Krieg führt« (Jes 2,4).
»Dann wohnt der Wolf beim Lamm«,
oder wie es das Bild zeigt (Jes 11,6-9):
»Kuh und Bärin freunden sich an.
Ihre Jungen liegen beieinander.
Der Säugling spielt am Schlupfloch
der Natter. Man tut nichts Böses mehr;
denn überall ist Gott ganz nahe«:
im Bild der vielen blühenden Rosen,
in den sich liebenden Friedenstauben,
im Licht, das wärmend die Erde umhüllt
und nicht zuletzt – im Kind.
Voraus-Erinnerung an Betlehem?
Der Weg vom Krieg zum Frieden ist möglich.
Die Hände im Bild sind dafür Symbol:
nicht die geballte Faust mit der Waffe,
sondern die offene wehrlose Hand,
geöffnet für Freund und für Feind,
geöffnet immer – für Gott.
Schalom!
Jesus, Freund des Friedens,
wenn wir stürmisch rufen:
Gib uns den Frieden,
antwortest du lächelnd:
Schenkt ihr einander Frieden!
Verschrottet eure Waffen
des Neids, des Hasses,
der Gleichgültigkeit.
Reicht euch die Hände,
versöhnt eure Gegner
und lernt von mir:
Ich bin zärtlich und gut.
Ich liebe die Menschen.
Und Liebe – schafft Frieden.
Schalom! Der Friede sei mit euch!

Die gehörten Worte von Pater Schmidkonz erinnern uns an die Wege des Friedens, die unser deutsches Volk gegangen ist vor achtzig Jahren, wie wir beispielsweise unserem damaligen Erzfeind Frankreich die Hände gereicht haben – und vor allem er uns. Auch hier in Selbach knüpfte man intensive freundschaftliche Bande nach Frankreich, genauer nach Voyennes an der Somme, ein kleines Dorf wie Selbach im Norden Frankreichs, rund 500 Kilometer von hier entfernt. Ab Anfang der 1960er Jahre, noch nicht mal zwanzig Jahre nach Ende des zweiten Weltkrieges, haben Mitglieder der Sportfreunde Selbach und des dortigen Fußballvereins sich gegenseitig besucht. 1967 fuhren beispielsweise fünfzig Selbacher nach Frankreich – ein ganzer Reisebus. Auch Kinder und Jugendliche nahmen teil. Als die Franzosen hier zu Gast waren – sie kamen regelmäßig – wurde tagelang im Gasthof Rosenbauer und überall im Dorf, in den Häusern der Familien, gefeiert. Heute werden die Verbindungen nur noch sporadisch und in wenigen Familien gepflegt. Aber: Deutschland und Frankreich als Völker und Nationen stehen in Europa und in der Welt als beste Freunde da, unerschütterlich und unverbrüchlich. Der frühe und intensive Austausch von Jugendgruppen und Vereinen, insbesondere über das Deutsch-Französische Jugendwerk, hat an dieser Verbrüderung einen großen Anteil. Nebenbei bemerkt: Ohne die Führung der beiden weitsichtigen und charismatischen Staatenlenker Konrad Adenauer und Charles de Gaulle wäre dieser Weg des Friedens womöglich schwieriger geworden.
Übrigens gibt es das 1963 gegründete Deutsch-Französische Jugendwerk heute noch und bringt erfolgreich junge Franzosen und Deutsche zusammen. Und der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge organsierte auch im laufenden Jahr zahlreiche Veranstaltungen und internationale Treffen zwischen jungen Menschen, sowohl im Westen als auch im Osten Europas. Hier sind Ihre Spendengelder gut investiert.
Lasst uns unter dem steinernen Kreuz hier am Kriegerdenkmal hoffen und beten, dass die vielen Kriegsparteien heutiger Zeit und solche, die es erst gestern noch waren, sich ein Beispiel nehmen an unseren Friedenswegen von damals. Lasst uns als Deutsche aber auch erinnern, dass diese Friedenswege nicht aus heiterem Himmel gefallen sind. Es waren engagierte Menschen bei uns und jenseits der Grenze, die Ideen, Mut und Neugier hatten, Vorurteile überwunden, Zeit aufgewendet und angepackt haben. Es waren Menschen jeglicher Couleur und Schichten, Handwerker, Akademiker, sie alle einte der Wille zum Frieden. In diesem Fall ging er über den Sport, den Fußball. Sie haben sich im wahrsten Sinne bemüht um des Friedens willen – mit dem größtmöglichen Erfolg, den wir heute noch erleben! Das ist ein unermessliches Verdienst dieser Menschen in der Nachkriegszeit. Dafür sollten wir dankbar sein. Wir alle sind uns einig: Die Welt braucht nicht noch mehr Kriegerdenkmäler, auf denen die Namen junger Menschen stehen.
Was könnte also eine Botschaft an die Ukrainer, Russen, Palästinenser, Israelis und – leider – noch viele weitere Kriegsnationen unserer Zeit sein? Frieden schafft man mit couragierten und engagierten Einzelpersonen, die Visionen, Gottvertrauen und Menschenliebe besitzen, die Freude am Leben haben, die sich, wie Schmidkonz es beschreibt, die „offene wehrlose Hand, geöffnet für Freund und für Feind“, reichen, die es einfach machen und anderen zeigen, dass es geht. Dazu braucht es natürlich friedfertige und kompromissbereite Politiker, es bedarf aber vor allem Menschen aus dem Volke heraus, auf beiden Seiten, welche die politischen Appelle zum friedlichen Miteinander auch wirklich in die Tat umsetzen, authentisch und mit Herzblut. Traut Euch, es lohnt sich. Diese Wege sind schon da, sie müssen nur betreten und begangen werden, nicht nur auf den roten Teppichen der Weltöffentlichkeit, sondern zuvorderst in den gewöhnlichen Straßen und Gassen der Städte und Dörfer. Und am besten mit jungen Menschen, die ihre Zukunft in Sicherheit und Wohlstand gestalten wollen. Diese Wege des Friedens retten nicht nur Menschenleben, sondern schaffen sogar Freundschaften.

