„Auf dem Eichenhahn“ in Selbach steht ein neues Wegekreuz. Das Holz für das Kreuz mit seinem modernen Korpus wurde gespendet und der kompletten Herstellung widmeten sich Selbacher im Ehrenamt. Nicht belegt ist, warum das alte Kreuz einst aufgestellt wurde. Wies das spätere Prozessionskreuz ursprünglich auf ein dort geschehenes Unglück hin?
Selbach trotzt dem Kreuzfrevel, der die Region teils erschütterte und lässt es sich nicht nehmen, an exponierter Lage im Ort ein neues Wegekreuz aufzustellen. Das alte war in die Jahre gekommen und musste abgebaut werden. Nun wurde ein neues Kreuz etwa 80 Meter vom bisherigen Standort entfernt direkt neben einer Sitzbank errichtet. Von dort oben haben Wanderer, Spaziergänger und Innehaltende einen wunderschönen Blick auf Selbach und auch auf die Nachbargemeinde Fensdorf.
Traditionell wird meist der gekreuzigte Jesus als Korpus dargestellt. Anders in Selbach: Das nun neu entstandene Holzkreuz aus Eiche hat einen besonderen und modernen Korpus erhalten. In seiner lebendigen Form wird der auferstandene Christus dargestellt. Die Idee hierzu hatte der Selbacher Ewald Orthen, der dieselbe und auch die Herstellung des Kreuzes in die Tat umsetzte.
Neben Orthen waren zudem Thomas Kolb (Stifter des Holzes), Christoph Klein, Thomas Buch, Gerd Stahl, Fabian Klein und Ortsbürgermeister Matthias Grohs für die Aufstellung des Kreuzes im Ehrenamt aktiv. Daneben wurden unter anderem das Fundament, die Metallhalterungen sowie das Messingschild gespendet. Auf dem Messingschild übrigens brachten die Ehrenamtlichen neben der Jahreszahl 2023 auch die ehemalige Inschrift des alten Kreuzes auf. Sie ist ein Auszug aus einem Hymnus von Paulinus von Aquileia und lautet „Congregavit nos in unum Christi amor“, zu deutsch „Christi Liebe hat uns geeint“.
Warum wurde das Wegekreuz einst aufgestellt? Darüber gibt es leider keine eindeutigen Belege oder Aufzeichnungen. Wie Matthias Grohs berichtet, können sich die ältesten der Selbacher Einwohner lediglich schon aus Kindheitstagen daran erinnern, dass es „schon immer“ dort oben „Auf dem Eichenhahn“ gestanden hat. Sicher ist allerdings, dass es ein Stationspunkt während durchgeführter Bittprozessionen war.
Eine andere Geschichte deutet darauf hin, dass an der Stelle, wo das alte Kreuz stand, jemand vom Blitz erschlagen wurde, so Grohs. Er und seine Mitstreiter interessiert zudem, warum ausgerechnet die Inschrift „Christi Liebe hat uns geeint“ für das Kreuz ausgewählt wurde.
Mit den Möglichkeiten, warum das Kreuz einst aufgestellt wurde, passt es gut zur Geschichte vieler Wegekreuze. Die religiösen Kleindenkmäler sind seit dem 14. Jahrhundert belegt und verschwanden teils während der Reformationszeit. Ab dem 17. Jahrhundert wurden viele neue errichtet, bedingt durch größere religiöse Bewegungen. Wie schon früher stehen sie auch heute oft als Wegzeichen für Wanderer und Pilger oder dienten, wie auch in Selbach, als Prozessions-Station. Ebenso ist die Selbacher Geschichte rund um den Blitzschlag plausibel. Wegekreuze kennzeichneten schon immer Örtlichkeiten des Gedenkens auch an Unfälle oder Unglücke.
Wege- und Dorfkreuze haben in der Ortsgemeinde Selbach seit jeher eine besondere Bedeutung. Es gebe ein Duzend von ihnen in der Gemarkung, berichtet die Ehrenamtstruppe. Einige Bürger kümmern sich ebenso ehrenamtlich um deren Pflege samt Blumenschmuck, wofür die Ortsgemeinde herzlich dankt.
Das neue Selbacher Kreuz soll im Frühling 2024 im Rahmen einer Prozession zusammen mit dem vor drei Jahren errichteten Kreuz an der „Dicken Eiche“ und dem Kreuz auf der Kölbach im Ortsteil Brunken eingesegnet werden. (Text: Katharina Behner, Fotos: Matthias Grohs)
Die Serie „Anekdötchen of Platt“ behandelt in loser Abfolge kleine, meist humorvolle, Geschichten aus vergangener Zeit, geschrieben von Selbacher Bürgern in Selbacher Dialekt. Dialekt ist kein Zeichen mangelnder Bildung oder Rückwärtsgewandtheit, sondern er schafft Identität und ist Kulturbestandteil. Wir wollen unsere eigene Sprache nicht verlernen: Geben wir sie an unsere Kinder weiter, sprechen wir sie!
In der folgenden Anekdote geht es um die nimmer endende augenzwinkernde Rivalität der hiesigen Waldgenossenschaften, wobei manchmal bis in die heutigen Tage der Neid trotz des humoristischen Mantels nicht zu verhehlen sein wird.Die Rauchschwaden verbrannten Haubergholzes prägen auch im 21. Jahrhundert noch den Blick auf das winterliche Selbacher Tälchen.
von Franz Geimer, um 1910
Der Geimersch Vater on seng Sohn Franz gingen of dem Echenhahn spaziern. Als di zwei su üwer Serlwisch sochen, sahte der Vadder: „Seh dir jenau di Höuser ahn, ous deren Schornsten schwarzer Rauch kömmt. Dat sen di armen Löj, die nasset Holz verbrön, dat se sesch vürher bi ous 28ern jeklaut han.“
Wie das Erbe der Kelten weiterentwickelt und bis ins dritte Jahrtausend getragen wurde
Selbach ist waldreich. Mehr als die Hälfte der Gemarkung ist mit Bäumen bestockt. Siebzig Prozent (144 Hektar) des Waldes liegt im Besitz von fünf altrechtlichen Waldgenossenschaften und etwa 100 Selbacher Familien sind Mitglieder einer solchen Vereinigung (vgl. Tabelle 1). Diese Fakten machen das Dorf heute zu einer Einzigartigkeit im Haubergwesen des nördlichen Westerwaldes.
Der Hauberg als Sockelwirtschaft für den Bergbau
Erstmalig ist der Name Hauberg bzw. „Hau“ in einer Urkunde 1423 in Freudenberg im Siegerland erwähnt.[1] Seine Ursprünge liegen dagegen in keltischer Zeit und sind untrennbar mit dem Bergbau verbunden. Vor rund 2.500 Jahren, in der „La-Tène-Zeit“, betrieben unsere Ureinwohner primitive „Rennöfen“, um die Erze, welche sie im Tage- und Untertagebau bargen, zu verhütten. Verschiedene Indizien wie Schlackereste und Geländeaufrisse lassen vermuten, dass sie dieser Tätigkeit auch an den Hängen des Selbachs und seiner Nebenbäche nachgingen. Die Öfen wurden mit Holzkohle beschickt, um die nötige Hitze zur Eisenschmelze zu erzeugen. Der Wald lieferte dafür den Urrohstoff. Um eine bestimmte Menge an Erz zu verhütten, war die zwölffache Menge an Holz nötig.[2]
Der Holzbedarf war also enorm und die Kelten bemerkten recht schnell, dass dieser aus den lokalen Wäldern nicht gedeckt werden konnte – es sei denn, man änderte die Bewirtschaftungsweise. Und so entwickelten die Frühsiedler die Niederwaldbewirtschaftung und leiteten mit ihr den Beginn der Waldeinteilung bzw. Altersklassengliederung ein. Großflächige Rodungen wurden unterlassen und der Kleinflächenkahlschlag mit stockausschlagfähigen Baumarten wie Eiche und Birke sukzessive eingeführt. Auf diese Weise standen in einem Turnus zwischen 5 und 21 Jahren dünne Holzstangen für die Kohleproduktion zur Verfügung.[3]
Der Niederwald ist damit die erste künstliche Form des Waldbaus. Das heutzutage von vielen Branchen gern zitierte Prinzip der Nachhaltigkeit war geboren.
Genossen (G)- / Interessentenschaft (I)
Anzahl der Anteilseigner
Flächengröße
Erben-Eichenhahn (G)
25
46,2 ha
Kleefeld (G)
18
16,6 ha
Mühlenhardt (G)
22
3,7 ha
28er (I)
26
54,0 ha
20er (I)
20
23,8 ha
GESAMT:
111
144,3 ha
Tabelle 1: Mitgliederzahlen und Flächengrößen der Selbacher Gemeinschaftswälder, Stand: 2007
Unter den Germanen und insbesondere im Mittelalter stieg die Nachfrage nach Haubergholz stetig. Vor allem die Kriegsindustrie gierte nach Eisen. Aber auch Bauholz für die wachsende Bevölkerung und Grubenholz wurden in den Haubergen in gewaltigen Mengen eingeschlagen. Im 15. Jahrhundert waren sie schließlich ausgeplündert. Als Reaktion darauf wurden verschiedene Wald- und Haubergordnungen bis ins 18. Jahrhundert von den Herrschaftshäusern derer von Sayn und Nassau erlassen – doch allesamt ohne positiven Einfluss auf das Waldwachstum. Überall wurde Holz benötigt: Bei Stadtgründungen, Schiffsbauten, im Bergbau, in Salinen, Glasmanufakturen und nicht zuletzt für den Bau und Unterhalt von Burgen und Schlössern, so auch für die Residenz des Grafen HATZFELDT in Schönstein. Das Bevölkerungsmaximum im Westerwald sowie der höchste absolute Viehbestand waren im 16. Jahrhundert erreicht.[4] Die Ausbeutung der Waldungen gipfelte gut hundert Jahre später in einem drastischen Holzdefizit in ganz Europa. Das Angebot an Holzkohle war dürftig und somit erfuhr die Eisenproduktion starke Ausfälle.
Mit dem Bau der Ruhr-Sieg-Eisenbahn 1861 veränderte sich fast schlagartig das Bergbauwesen im nördlichen Westerwald. Die Ruhrkohle verdrängte die heimische Holzkohle endgültig. Das Ende der Köhlereien ging damit einher und die „Haubergkohle“ verlor plötzlich ihre Bedeutung.
Produktvielfalt Hauberg
Neben Holzkohle gab der heimische Niederwald (vgl. Abbildung 1) eine Fülle von anderen Produkten her. Der Nutzungszyklus des typischen (historischen) Haubergs, wie er auch in Selbach Jahrhunderte lang betrieben wurde, stellt sich wie folgt dar: An den noch stehenden etwa 15- bis 30-jährigen Eichenstämmen wurde die Rinde mit speziellen Werkzeugen (Lohlöffel und Ritzer) in der Zeit des Saftsteigens abgeschält. Die Lohe, also der Gerbstoff der Eichenrinde, war Grundlage für die Lederherstellung. Lohmühlen und Gerbereien gab es zu Hunderten in der Region. Man ermittelte das Gewicht der Rinde mit einer Lohwaage, die in der Dorfmitte am „Zimmerplatz“ stand. Der Handel mit der Lohe war lange Zeit eine wichtige Erwerbsquelle für die arme Dorfbevölkerung. Er erreichte seinen Höhepunkt um 1850, danach verdrängten Billiggerbstoffe aus dem Ausland die Eichenrinde. In Selbach wurde die Lohegewinnung 1948 eingestellt.[5]
Das Eichenholz wurde in umliegenden Meilern verkohlt bzw. von den Selbachern für den Hausbrand genutzt. Den Boden grub man danach um und die verbliebenen Gräser und Streu verbrannte man vor Ort. Die Asche fungierte als Dünger für den einjährigen Buchweizen- oder Roggenanbau. In Selbach erntete man 1948 das letzte Mal Hauberggetreide.[6] Weitere zwei Jahre trieb man Vieh (in Selbach tat man dies bis Ende der 1950er Jahre) auf die mittlerweile vergrasten Weiden. In der Folge wurde die Beweidung nach und nach eingestellt, so dass sich ein neuer Baumbestand entwickeln konnte. Der Kreislauf begann von Neuem.
Weitere Erzeugnisse:
Reisiggebinde („Schanzen“) für den Gemeinschaftsbackofen („Backes“).
Ginster als Stallstreu, Viehfutter, Färbmittel für Textilien und Isolierung an Hauswänden sowie für die Besenherstellung. Im Jahre 1937 war eine Berliner Naturfaserfabrik interessiert an einer größeren Abnahme Besenginsters aus den Hauberggenossenschaften Mühlenhardt/Kleefeld. Hier blieb es wahrscheinlich nur bei der Anfrage.[7]
Stroh als Dachdeckmaterial
Weidenheger als Rohstoff für Flechtprodukte wie Körbe.
Wilhelminische Gesetze als Grundlage für das Handeln der Haubergleute
„Hier her, hau her!“, so schallte es über Generationen hinweg auf den Höhen und Hängen rund ums Dorf. Die Brennholzerzeugung hat als einziges von rund zehn Produkten des Haubergs überlebt. Die Organisation des Brennholzeinschlags obliegt den Hauberggenossenschaften und Waldinteressentenschaften. Die gemeinsamen Besitzer der hiesigen Wälder, die jeweils einen ideellen Anteil am unteilbaren Gesamteigentum haben und ihn genossenschaftlich bewirtschaften, bezeichnet man als so genannte „Eigentumsgenossenschaften“ nach altdeutschem Recht. Sowohl Hauberggenossenschaften als auch Waldinteressentenschaften lassen sich unter dem Begriff „Waldgenossenschaften“ zusammenfassen.
Das „Gesetz über gemeinschaftliche Holzungen“ von 1881 regelt die Bewirtschaftung und Verwaltung der Interessentenschaften; die „Haubergordnung für den Landkreis Altenkirchen“ von 1890 stellt das Pendant für die Hauberggenossenschaften dar. Beide Regelwerke gelten heute noch und sind im Zusammenhang mit dem im Jahre 2000 verabschiedeten Landeswaldgesetz von Rheinland-Pfalz anzuwenden. Nach Letzterem sind die beiden altrechtlichen Körperschaftsformen Privatwälder. Während Hauberggenossenschaften nach heutiger Rechtsprechung als Körperschaften des öffentlichen Rechts gelten, trifft dies für Waldinteressentenschaften hingegen nicht zu.[8]
Die Entstehung beider Körperschaften liegt in den alten markgenossenschaftlichen germanischen Wäldern aus dem 12. Jahrhundert und früher. Im Laufe der Jahrhunderte änderten sich bisweilen die eigentumsrechtlichen Verhältnisse mehrmals. Die meist unter Lehensherrschaft (des Hauses Hatzfeldt und anderer) gestandenen privaten Wälder der Dorfbevölkerung wurden nach und nach vom Lehensherrn vereinnahmt. Im Unterschied zu den Hauberggenossenschaften, welche ihr Eigentum am Wald fortlaufend bewahrt haben, standen den Mitgliedern der Interessentenschaften nach den Markwaldteilungen lediglich die bisherigen Nutzungsrechte zu.[9] Die Interessentenwälder galten als abgabepflichtig. Mitte des 18. Jahrhunderts aber setzten die für bestimmte Dorfgebiete Selbachs zuständigen Grafen von Sayn-Altenkirchen und Sayn-Hachenburg neue Abgaberegeln fest. Die Aristokraten bewiesen damals Kulanz, indem sie ihr alleiniges Besitztum (wieder) aufgaben und den Nutzungsberechtigten Teilhaberrechte einräumten. Dieser Vorgang ist beispiellos in Deutschland und folglich findet man außerhalb der Altenkirchener Kreisgrenzen keine Waldinteressentenschaften.[10]
Die zahlreichen vorpreußischen Territorialgewalten, welche zu gleicher Zeit in unterschiedlichen Gebieten des Dorfes herrschten, ließen eine außergewöhnliche Situation auf den gemeinschaftlichen Waldflächen der Gemarkung Selbach entstehen. So mussten diese über Jahrhunderte hinweg auf der Basis unterschiedlicher Gesetze, je nach Obrigkeit, bewirtschaftet werden.
Es gibt in Selbach zwei Waldinteressentenschaften: Die „Berechtigten am Selbacher Fronwald“ (=„20er“) – erstmals 1880 urkundlich erwähnt – und die „Gemeindewaldberechtigten zu Selbach“ (= „28er“). Sie führen seit 1978 ein gemeinsames Statut und wählen seitdem einen bündnisübergreifenden Vorstand.
Die lapidaren Namensbezeichnungen rühren von der Anzahl der Anteilseigner her, wobei die „28er“ durch Rückkauf von Anteilen vor wenigen Jahren aus nunmehr noch 26 Miteigentümern bestehen. Dadurch sind die jeweiligen Anteile der verbliebenen Eigner gestiegen.
Der ursprüngliche und richtige Name der „28er“ lautet „Gemeindewaldberechtigte zu Selbach“. Die eigentliche Bezeichnung der „20er“ ist „Berechtigte am Selbacher Fronwald“. Dies offenbart, dass die Waldungen der „20er“ -Waldinteressenten in früherer Zeit der landes- und grundherrschaftlichen Obrigkeit unterstanden und ihre Nutzer abgabepflichtig waren.
Über den zeitlichen Ursprung der Selbacher Hauberggenossenschaften ist nur wenig bekannt. Bis vor einigen Jahren bestand das mittlerweile verschollene Kassenbuch der Genossenschaft „Erben-Eichenhahn“ aus dem Jahr 1900. Aber wie bei den Interessentenschaften muss man davon ausgehen, dass auch die Genossenschaften, zumindest eine von ihnen, schon viele Jahrhunderte vorhanden waren.
Die Genossenschaften „Mühlenhardt“ und „Kleefeld“ haben seit langer Zeit einen gemeinsamen Vorstand. Er war laut Aussage des ehemaligen Waldvorstehers HERMANN VOR aus Fensdorf schon zu Amtszeiten des Vorstehers und Selbacher Bürgermeisters ANTON KLEIN, also Anfang des 20. Jh., in Funktion. Viele Bürger aus der Nachbargemeinde Fensdorf haben Anteile bei „Kleefeld“.
Wie oben skizziert, haben die beiden Waldbesitzarten zwar unterschiedliche geschichtliche Werdegänge durchlaufen und sind juristisch geringfügig different. Die Mitglieder haben in der fernen Vergangenheit ihren jeweiligen Forst aber auf dieselbe Art und Weise bewirtschaftet und tun dies heute noch in Form der Brennholzerzeugung.
In komplizierten Messverfahren werden alljährlich die ideellen Hektaranteile der Eigner auf die aktuelle Gesamtschlagfläche heruntergebrochen und die jeweiligen Schläge mit Messlatten oder Maßbändern ermittelt und mit Holzpflöcken („Pöhlchen“) abgesteckt. Die Prozeduren sind über Generationen hinweg weitergegeben worden und variieren zwischen den einzelnen Waldgenossenschaften.
Bis Mitte der 1950er Jahre war es bei den Interessentenschaften üblich, zur Waldbegehung mit dem „Gemeenshorn“, einem alten Rinderhorn, (vgl. Abbildung 2) zu rufen.
Die „Preußenfichte“ verabschiedet sich, Renaissance des Niederwaldes?!
Eine andere Betriebsart beschert heute insbesondere den Waldinteressentenschaften für ihre Verhältnisse beträchtliche Einnahmen: Der Fichtenhochwald, der ab 1880 im Kreis Altenkirchen in großem Stil von preußischen Forstbeamten kultiviert wurde.[11] In Selbach sind etwa 30 % der Haubergflächen mit Fichten bestockt, wobei der Anteil des „Brotbaumes“ in den letzten zwanzig Jahren erheblich abnimmt. Gründe hierfür liegen in den klimatischen Veränderungen, welche sich in Form von vermehrten Orkanen, extremen Trockenperioden und einhergehendem massivem Schädlingsbefall bemerkbar machen.
Der Anteil des Niederwaldes am gesamten Selbacher Haubergwald liegt derzeit bei etwa 50 %. Auch er ist im „Rückzug“ begriffen, was jedoch ausschließlich forstfachliche Gründe hat. Staatliche Revierförster betreuen die privaten Haubergwälder und beraten ihre Eigentümer bei forstlichen Entscheidungen. Hier ist in den letzten Jahren zunehmend festzustellen, dass der Niederwald zu einem Hochwald wachsen soll. Das Betriebsziel ist inzwischen in einigen Beständen nicht mehr nur Brennholz, sondern auch Säge-/Bauholz, ja sogar Wertholz.
Es ist zu wünschen, dass bei diesen waldbaulichen Entwicklungen nicht nur ökologische und ökonomische Aspekte eine Rolle spielen, sondern auch der zugegebenermaßen eher abstrakten, aber wichtigen (sozio-)kulturellen Dimension Rechnung getragen wird und der Niederwald nicht als prägendes Landschaftselement unserer Heimat verschwindet. Die verstärkte Nachfrage nach Brennholz könnte ein wenig Brisanz aus dieser Diskussion nehmen und zumindest auf bestimmten Standorten wieder hin zum klassischen Kleinflächenkahlschlag bei kurzen Umtrieben führen.
Neben Hammer und Schlegel für den Bergbau zieren die Symbole des Haubergs das Selbacher Ortswappen: Lohlöffel und Ritzer. Sie spiegeln die historische Bedeutung des Haubergs für unser Dorf wider. Darüber hinaus sollen sie aber auch daran erinnern, dass der Hauberg nach wie vor ein fester Bestandteil der Selbacher Kultur ist: Das „Brennholz-Machen“ bestimmt zu jeder Jahreszeit die Freizeitgestaltung des stolzen Anteilseigners. Waldbegehungen und Versammlungen der Waldgenossenschaften dienen der Pflege des Gemeinsinns und allgemein des traditionellen Haubergwesens. Der „niedere Wald“ mit seinen charakteristischen Elementen wie den Haubergwegen (vgl. Abbildung 3) ist, wie oben bereits bemerkt, landschaftsprägend und birgt großes Erholungspotential. Des Weiteren sprechen ökologische Gründe für den Fortbestand der Haubergbewirtschaftung, denn viele Pflanzen und Tiere haben sich an die speziellen Lebensbedingungen angepasst.
Daher gilt es, diese uralte Bewirtschaftungsform verantwortungsvoll durch das 21. Jahrhundert zu tragen. Begreifen wir unsere „Hecke“ als großartiges Erbe, welches unseren Vorfahren als unverzichtbare Lebensgrundlage diente.