Von fröher

Der Kapellenberg um 1900

Anekdötchen of Platt

Die Serie „Anekdötchen of Platt“ behandelt in loser Abfolge kleine, meist humorvolle, Geschichten aus vergangener Zeit, geschrieben von Selbacher Bürgern in Selbacher Dialekt. Dialekt ist kein Zeichen mangelnder Bildung oder Rückwärtsgewandtheit, sondern er schafft Identität und ist Kulturbestandteil. Wir wollen unsere eigene Sprache nicht verlernen: Geben wir sie an unsere Kinder weiter, sprechen wir sie!

In der folgenden Anekdote geht es um das Ziegenhüten, das oft von den Kindern übernommen wurde. Ein Einblick in den Kinderalltag, der Anfang des letzten Jahrhunderts „schwer, aber doch schön“ war, so das Fazit der Verfasserin – eine Aussage, die man oft von älteren Mitbürgern hört.

von Maria Dietershagen (Piertersch Maria), um 1980

„De Brenn“, der alte Flurname deutet auf die ehemalige Nutzung des Platzes hin: Vielleicht war hier einmal ein Meilerplatz zur Holzkohleproduktion (Foto: Hicking, 2017)

Wat woar dat fröher su schüen en Serlbisch! Die Joungen trofen sich ouf der Brenn, un die Märerchen soungen schüene Lerer von da Kirsche en et Dorf ren.

Awer nu denkt jo net, mer hätten jeden Owend bi der Kirsche jesongen, dafüer hatten mier ken Zeijt. Von Koend ahn musste mer helfen em Hous on om Feld.
En paar Köh hatten mehr un een Zeeh. Mit der Zeeh hamer moal en Dengen erlaeeft:

Wie ous Lisbeth un esch ous der Schurl komen, sah ous Vadder: „Ihr mousst met der Zeeh nom Schlädchen.“ Ous feel et Hetz en de Schoh. Mier dähn ous en Schnie Bruet en de Daesche on dann ging et loss. Die Zeeh leef wie en Döpschen. Awer om Hehmwäh, do wor die Sache anerscht. Dat Zeejendier woul doch net mie do danne. Eener zooch, der anner daute. Wenn se garnet mie wull, krechse en Brocken Bruet oder en Tracht Schlää.
Su komen mir dann möt Ach und Krach bis en de Langenhardt – awer do woar Schluss. Dat Dier wourf sesch nirrer on stonn net mie off. Mir hann et em Gorem on em Büersen versucht. Die verwande de Ougen, on schnöfte net mie.
Mir hann noch en Duhr jekreschen, du sah ich gen ous Lisbeth: „Komm, mir gohn no hem, die es kabutt.“ Ous Vadder rierde nur am Kopp. Die Joungen mussten moem Wähnchen fort. On wat denkt ihr: Bie Miesen en der Kier kom se aanmarschiert, on Monade späder krijen mer och noch en schürn Zeggelschen.

Wenn die Zeijt och arm woar on schwer, awer sou schüen wie et fröher in Serlbisch woar, wüerd et nimmer nit mie.

Von armen Löjn

Mühlenhardt

Anekdötchen of Platt

Die Serie „Anekdötchen of Platt“ behandelt in loser Abfolge kleine, meist humorvolle, Geschichten aus vergangener Zeit, geschrieben von Selbacher Bürgern in Selbacher Dialekt. Dialekt ist kein Zeichen mangelnder Bildung oder Rückwärtsgewandtheit, sondern er schafft Identität und ist Kulturbestandteil. Wir wollen unsere eigene Sprache nicht verlernen: Geben wir sie an unsere Kinder weiter, sprechen wir sie!

In der folgenden Anekdote geht es um die nimmer endende augenzwinkernde Rivalität der hiesigen Waldgenossenschaften, wobei manchmal bis in die heutigen Tage der Neid trotz des humoristischen Mantels nicht zu verhehlen sein wird. Die Rauchschwaden verbrannten Haubergholzes prägen auch im 21. Jahrhundert noch den Blick auf das winterliche Selbacher Tälchen.

Hauberg Mühlenhardt Mitte des 20. Jh., im Eigentum einer der kleinsten Waldgenossenschaften Selbachs (Foto: Bruno Osinski)

von Franz Geimer, um 1910

Der Geimersch Vater on seng Sohn Franz gingen of dem Echenhahn spaziern.
Als di zwei su üwer Serlwisch sochen, sahte der Vadder:
„Seh dir jenau di Höuser ahn, ous deren Schornsten schwarzer Rauch kömmt. Dat sen di armen Löj, die nasset Holz verbrön, dat se sesch vürher bi ous 28ern jeklaut han.“

Em Holz

Em Holz

Anekdötchen of Platt

Die Serie „Anekdötchen of Platt“ behandelt in loser Abfolge kleine, meist humorvolle, Geschichten aus vergangener Zeit, geschrieben von Selbacher Bürgern in Selbacher Dialekt. Dialekt ist kein Zeichen mangelnder Bildung oder Rückwärtsgewandtheit, sondern er schafft Identität und ist Kulturbestandteil. Wir wollen unsere eigene Sprache nicht verlernen: Geben wir sie an unsere Kinder weiter, sprechen wir sie!

In der folgenden Anekdote geht es um ein Paar, das seine „Zusammenführung“ noch einmal vergegenwärtigt. Der damalige (?) Charme mancher Ehemänner kommt hier deutlich zum Ausdruck. Die Szene spielt sich wie so oft im Hauberg ab, beim so genannten Lohschälen, einer wichtigen Erwerbsquelle der Selbacher.

von Maria Klein (um 1920)

Luhschärlen

nachgestellt von Peter Kemper und Helmut Brucherseifer am 01.07.2003
Die Eichenrinde wurde im Hauberg jahrhundertelang genutzt, um sie in die umliegenden Lohmühlen zu verbringen, die wiederum Gerbstoffe für die Lederherstellung lieferten.

Die Werkzeuge zum „Luhschärlen“ – Lohlöffel und -ritzer – finden sich im Wappen der Ortsgemeinde wieder.

(Foto: Grohs, 2003)

Gejmersch Majan wohr ous Hönningen on schaffte en da Brändemichs Müll em Houshalt. Du woar me mol zesamen em Klifeld am Luh schärlen. Wi ma of em Holz soßen on woarn am Kaffetrönken, du sah of enmol det Majan – et zeischte wejt en de Welt, von do kunn ma nämlich ganz wejt sehn – : „Kummt, seht e mol. Do es Hönningen. Do wor esch dahem.“
On du wonerten ma ous all. Nur da Wilhelm, seng Mann, stonn net of.
Du sah et Majan: „Na Wilhelm. Komm, seh doch mol, wo esch dannen senn!“
Du sah der Wilhelm (er hatte det Majan en der Brändemichs Müll kennenjeliert): „Nä. Do hätt esch desch net jesucht. – Et hätte sesch awer och net jeluhrnt.“

Anmerkung:
Majan: Marianne Grohs, geb. Schönborn (08.01.1866 – 28.07.1943);
Wilhelm: Wilhelm Grohs (20.11.1856 – Jan. 1918)

Doch ken Schläh jekrischt

Doch ken Schläh jekrischt

Anekdötchen of Platt

Die Serie „Anekdötchen of Platt“ behandelt in loser Abfolge kleine, meist humorvolle, Geschichten aus vergangener Zeit, geschrieben von Selbacher Bürgern in Selbacher Dialekt. Dialekt ist kein Zeichen mangelnder Bildung oder Rückwärtsgewandtheit, sondern er schafft Identität und ist Kulturbestandteil. Wir wollen unsere eigene Sprache nicht verlernen: Geben wir sie an unsere Kinder weiter, sprechen wir sie!

In der folgenden Anekdote geht es um zwei Lausbuben, deren Streit anschließend vor der Schulklasse und dem Lehrer als „Richter“ verhandelt wurde. Ein Einblick in den Schulalltag vor 150 Jahren, der ein ganz anderer war als heute.

von Wilhelm Schmidt, um 1890

Selbacher Schüler mit ihrem Lehrer Eduard Groß, Aufnahme von 1910, ein Jahr nach Eröffnung der neuen Schule „In den Hainbuchen“ in der Schulstraße.

Da Bertes Martin on da Piertersch Wilhelm hatten sesch em Dorf jezänkt. On du gingen se menaner bower Rursebouersch her üwer`d Bröckelschen on woarn sesch onjefähr enisch.
Awer wi da Piertersch Wilhelm de Hardt rofging, on da Martin langst de ahl Schurl ronner, du sochen se sesch werrer üwer Kürten Hous.
Du fong da Martin widder an ze schännen: „Dicker Pierter!“ Du sah da Piertersch Wilhelm: „Wenn de jetz det Moul net hältst, dann schmejsen esch da en Sten an dern dicken Kopp.“
Awer da Martin woar net röisch, on da Wilhelm wur bürs, krisch sesch en Sten on schmess.
Der Martin lef on stoch dern Kopp en Kürtens lebendije Gartenhäh. On jenau doa fehl der Sten hin on trof dern Martin an den Kopp. On da Martin hatte en dicken Dotz am Kopp. Dodrof lärmte da Martin, als wenn er sterwen müsste on ref: „Dat würt da Lehrer jewahr.“

Da Wilhelm, der ging no hem on hatte schwere Jewissensbisse. Her os dern Owend nex, on wie seng Vadder von da Arwet kom, do meld’en seng Modder krank: „Da Wilhelm es krank, er hätt nex jegäsen.“ „Wat sall derm dann fählen“, sah seng Vadder, „er woar doch gestern noch jesond?“
Dern annern Morjen, en aller Herrgottsfröh, woar da Wilhelm alt ofjestann, grad dermnoh, wie seng Vadder noh Arwet woar. „Wat wullst du dann alt?“, frocht’n seng Modder. On du läschte er seng Anliejen senger Modder warm an et Herz: „Esch han derm Bertes Martin mem Sten en Dotz an dern Kopp jeschmessen. Der wull et derm Lehrer san on esch kräijen Schläh dern Morjen.“
Seng Modder gow em dern Roat: „Döh dir’n Pappdeckel hängen en de Botze.“ Der Wilhelm sah: „Näh, dat kann esch net, dat knallt ze arisch, dann kreijen esch a noch mi.“ „Na ja“, sah seng Modder, „dann dön esch da zwei Botzen ahn.“ Got, domet woar er zefrinn.

Jetz ging et en de Schurl, et wur jebert, on domet zeischte da Martin alt of, su huh, wie er kunn. Der ahl Lehrer frochte: „Was gibt’s?“ Da Martin leschte loss: „Wilhelm Schmidt hat mich mit einem Stein jeschmissen. Ich hatte einen dicken Dutz bei Kürten Häh.“

Selbacher Lausbuben anno 1890.
Obere Reihe: Peter Märzhäuser (Hannespitersch Peter), Wilhelm Schmidt (Rurns Wilhelm), Peter Heckenbücker (Hamen Peter).
Untere Reihe: Franz Schmidt (Benades Franz), August Heckenbücker (Hamen August).

Dat gow en schweren Krach en de Schurl, hoptsächlich die Fensdorfer kunnten sesch für Laachen net halen. Der ahl Lehrer sah: „So. Dass ihr euch nicht nur mit den Fensdorfern mit Steinen werft, nun bewerft ihr Selbacher euch auch noch untereinander mit Steinen. Klöckner und Schmidt, kommt mal raus! Schmidt, du warst ja der Übeltäter, wie war das?“ „Der Martin, der hat mich geschimpft.“ „Ja, wie hat der denn geschimpft?“ „Dicker Pierter. – Und ich habe ihn gewarnt. Dann habe ich den Stein geworfen. Aber der Stein hätte ihn nicht getroffen, wenn er da, wo er stand, stehenjeblieben wäre. Er ist aber genau dahin jelaufen, wo der Stein niederkam: In die Kürten Häh.“
Do frochte da Lehrer dern Martin: „War das so?“
Bedröppelt sah du der Martin: „Joa.“
Du sah da Lehrer: „Dann seid ihr ja quitt.“

Da Wilhelm kom dern Medach noh hem. „Na“, sah seng Modder, „wat hätt et jegerwen?“
Da Wilhelm woar enttäuscht on sahte: „Wat et jegerwen hätt? Nex! Esch han gestern Owend nex jegäsen, de Näscht net jeschlofen, zwo Botzen anjedohn – on doch ken Schläh jekrischt.“

Und hier die Anekdote als Hörfassung:

Doch ken Schläh jekrischt